Schauspieltechnik für Vorträge: Vorteile und Nachteile

Eine Frau in einem lila Kleid sitzt auf einem kleinen Sessel in einem Raum mit Säulen und erklärt gestikulierend die Vorteile und Nachteile der Vorbereitung von Vorträgen mithilfe von Schauspieltechnik.
Elma Esrig in der Vortragsvorbereitung

Die Verwendung von Schauspieltechnik für Vorträge ist noch kaum bekannt. Viel verbreiteter sind Rhetorik- und Gelassenheitstrainings gegen Lampenfieber. Auch körpersprachliche und stimmliche Trainings zur Vortragsvorbereitung werden häufig in Anspruch genommen. Wenn aber Schauspieltechnik als Vortragscoaching angeboten wird, dann werden oft wiederum einzelne Werkzeuge aus dem schauspielerischen Bereich entnommen: Stimmübungen, Atemtechniken (insbesondere bei Auftrittsängsten) oder Tipps für wirkungsvolle Gesten.

Als Gesamtmethode jedoch kann Schauspieltechnik wirklich ein Gamechanger für Vortragende sein. Die einzelnen Techniken sind dann eingegliedert in ein Konzept, was Vortragen überhaupt ist und wie ein Sprechen vor Publikum diese Grundidee vom Wesen des Vortragens umsetzen kann.

Dafür gebe ich dir hier einen Überblick über die Vorteile und Nachteile von Schauspieltechnik für Vorträge. Die Anzahl der Vorteile und Nachteile ist dabei ausgewogen. Entscheidend wird daher die Frage sein, welche Vorteile und welche Nachteile für dich inhaltlich entscheidend oder aber vernachlässigbar sind.

Vorteile von Schauspieltechnik für Vorträge

  1. Wenn du Schauspieltechnik für deine Vorträge nutzt, arbeitest du mit einer unter Härtebedingungen erprobten Methode. Seit ihren Anfängen in der Antike beschäftigen sich professionelle Theatertheorien mit der Frage, wie aus vorgegebenen Texten packende Darbietungen werden. Und insbesondere seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts lag die Antwort auf dieses Problem immer weniger im Text selbst (im sprachlichen „Meisterwerk“), sondern in seiner Umsetzung durch Regie und Darbietung. So hat sich Theatermethodik eine Vielzahl von professionellen Techniken erarbeitet, um Texte lebendig, persönlich und wirkungsvoll umzusetzen. Ein Teil dieser Techniken beziehen sich nicht auf das Erarbeiten einer fiktiven Rolle, sondern grundsätzlich auf die Verwandlung von Text in eine sprachliche Darbietung. So können Vorträge von der großen professionellen Schwester „Schauspiel“ und ihrer jahrhundertelangen Vorarbeit im Vorgehen und in der Wirkung maximal profitieren.
  2. Schauspieltechnik löst die Frage nach der Lebendigkeit deines Vortrags mit klaren Methoden und zugleich radikal, indem es Sprechen zu einem sprachlichen Handeln macht. Obwohl – „macht“ ist hier nicht das richtige Wort, denn Sprechen ist ja, wie John Austin und John Searle in der Sprechakttheorie („How to do Things with Words“) schon in den 50er Jahren darlegten, ein Handeln, das sich nicht in „Informieren“ oder „Mitteilen“ von Inhalten erschöpft. Das inzwischen etablierte „Storytelling“ wird durch Schauspieltechnik zu einem „Story-Doing“, in dem der Vortrag – trotz intensiver Vorbereitung – spontan, im Hier und Jetzt geschehend, authentisch und lebendig wird und wirkt.
  3. Schauspieltechnik führt dich durch eine glasklare, strukturierte Vortragsvorbereitung: Vom Vortragsskript, dessen Autor du bist, und das eine bestimmte, eine dramatische, Form besitzt (siehe 4.), über die Regie, in der du die Sprachhandlungen deines Vortrags bestimmst zur Darbietung, die die Handlungen stimmlich umsetzt und zur Wirkung bringt.
  4. Schauspieltechnik zeigt dir, wie du einen zum Sprechen bestimmten Text verfasst. Denn ein perfektes Vortragsskript ist – anders als herkömmliche Texte – einer, der zum Gesprochenwerden bestimmt ist. Hier sind spezielle Texteigenschaften zu beachten, die „dramatischer“ Natur sind. Damit ist gemeint, dass die spezielle Textform der Dramatik nicht erzählt, wie die Epik (und wie das Storytelling), sondern handelt (daneben kennen wir noch die lyrische Textform der Gedichte). So kann dir Schauspieltechnik, die Spezialistin für gesprochene Texte ist, sogar Entscheidendes zu deiner Autorschaft beitragen.
  5. Darüberhinaus zeigt dir diese Technik wie du in der Regie die sprachlichen Handlungen deines Vortrags bestimmen und festlegen kannst. Mit ihrer Hilfe erstellst du für deinen Vortrag eine Art Sprech-Partitur, das heißt eine perfekt auseinander hervorgehende und ineinandergreifende Abfolge von Sprechhandlungen, die sogenannten „Handlungseinheiten“. Durch ihr Ineinandergreifen in der Abfolge kannst du sie dir wesentlich besser merken als eine Abfolge von Sätzen, die du einfach auswendig lernen musst. Denn, ja, das freie Sprechen ist in meinen Augen Pflicht beim Vortragen. Darüberhinaus ist die Technik der Handlungsbestimmung sehr individuell und passt sich deiner Persönlichkeit und deinem Stil wie ein Handschuh an. Es gibt mehrere mögliche Handlungen, die du mit derselben Textpassage inszenieren kannst. Die Technik zeigt dir, wie du überhaupt Handlungen setzt, die Auswahl, welche Handlungen zu dir passen, triffst du.
  6. Du bekommst – im letzten Schritt der Arbeit mithilfe von Schauspieltechnik – Darbietungstechniken an die Hand, um die in der Regie definierten sprachlichen Handlungen für dein Publikum erlebbar zu machen. Du entdeckst die Ausdrucksmöglichkeiten der Stimme, allen voran die Wirkung von Sprechpausen, den Zäsuren. Aber Schauspieltechnik zeigt dir auch, wie du bewusst mit den Gegensatzpaaren der Stimme umgehst: hoch – tief, laut – leise, schnell – langsam, öffnend – schließend. In den jeweiligen Abstufungen zwischen diesen Möglichkeiten und ihrer Kombination entsteht die Bandbreite stimmlichen Ausdrucks.
  7. Mithilfe von Schauspieltechnik gehst du mit deinem Publikum in einen besonderen Dialog, der Resonanz erzeugt. Wenn du – anstatt vorzutragen – sprachlich handelst, dann hast du dir in der Regie-Phase der Vorbereitung Impulse gesetzt, aus denen deine Sprach-Handlungen jeweils entstehen. Impulse motivieren Handlungen. Dieses Sprechen aus Impulsen gibt deiner Rede eine besondere Lebendigkeit. Ein Teil dieser Impulse kannst du als Reaktionen des Publikums in bestimmten Momenten deiner Rede unterstellen. Zum Beispiel: „Sie wundern sich jetzt vielleicht, warum …“ Einen weiteren Teil der Impulse kannst du aus seinen tatsächlichen Reaktionen spontan entwickeln: „Sie lachen jetzt, aber …“ So wird dein Vortrag zu einem besonderen Dialog zwischen dir und deinen Zuschauern.
  8. Wirkung entsteht dadurch, dass du in deiner Expertise zugleich menschlich, nahbar, präsent bist. Und Schauspieltechnik kann genau dies ermöglichen, indem du sprichst, wie du denkst (eine Sprache sprichst, die unseren Denkvorgang abbildet), indem du dieses Denken nicht vorgefertigt ablieferst, sondern vor den Zuschauern entstehen lässt und indem du in einen Austausch mit deinen Inhalten und dem Publikum kommst.
  9. Durch Schauspieltechnik entkommst du dem Dilemma zwischen Auswendiglernen und Improvisieren. Ja, ein brillanter Vortrag sollte (abgesehen vielleicht von umfangreichen Zahlen-Angaben, die darfst du dir erspicken) frei gehalten werden. Aber auswendiggelernt wirkt eine Rede nicht authentisch, improvisiert hingegen ist sie unprofessionell und riskant. In dem mit Schauspieltechnik vorbereitetem Sprechen kennst du die Abfolge deiner Handlungen ganz genau und auch die einzelnen Sprechhandlungen, durch die du die Handlungen ausführst. Indem die Sätze aber nicht um ihrer selbst oder nur um ihres Mitteilungsgehalts willen gesprochen werden, sondern als Teil eines Handelns zur Erfüllung einer Absicht, gelingt das scheinbar Widersprüchliche: Du sprichst maximal vorbereitet und es wirkt wie ein frei geäußerter Denkvorgang.
  10. Nicht zu verachten ist auch die Wirkung auf dein Selbstgefühl im Vortragen, wenn du dich mithilfe von Schauspieltechnik vorbereitest. Die lückenlose Kette der Sprechhandlungen gibt dir ein sehr sicheres Gefühl, zu dem auch die zahlreichen notwendigen Proben (siehe Nachteile) beigetragen haben. Jede Handlung ist ja so gebaut, dass sie – über einen quasi eingebauten Impuls – die nächste Handlung schlüssig nach sich zieht. Auf diese Weise fühlst du dich (und das haben dich schon die Proben erleben lassen) gelassen und frei: du brauchst im Sprechen nicht nach den Sätzen zu suchen, sondern die Handlungen tragen dich durch deinen Ablauf. So bist du frei, präsent zu sein, dein Publikum im Vortragen wirklich wahrzunehmen (statt es als Konzentrationsstörung auszublenden versuchen) und erfährst den Flow des Getragenseins und damit die Freude des Sich-Äußerns.
  11. Als Technik kannst du dieses Vorgehen in den Vorbereitungen all deiner Vorträge immer wieder methodisch anwenden und an immer neue Themen und Inhalte anpassen. Einmal verinnerlicht wird Schauspieltechnik zu einem klaren Konstruktionsplan für begeisternde Events.

Nachteile von Schauspieltechnik für Vorträge

  1. Schauspieltechnik für Vorträge einzusetzen ist nicht etabliert und muss erst von einem Trainer/einer Trainerin vermittelt werden. Hier gibt es keine feststehende Methode, vielmehr wird jeder die ihm zusagenden Techniken zu einem Gesamtkanon einzelner Schritte zusammenfassen. Wenn man es also erlernen will, ist man gezwungen hier genau hinzuschauen, was und wie es vermittelt wird. Das kann für den Laien durchaus kompliziert sein. Insgesamt sollte alles stimmig sein: die Methode einleuchtend und der/die TrainerIn kompetent und sympathisch.
  2. Deine Vorträge mithilfe von Schauspieltechnik, mit einer neuen Methode vorzubereiten, erfordert Mut, insbesondere, wenn man bereits Vorträge hält und diese nun auf ein ganz neues Fundament stellt. Etwas neu zu lernen ist oftmals einfacher, als Bestehendes zu ändern. Die Veränderung im Ergebnis ist sehr deutlich und entspricht vielleicht nicht den Erwartungen, die deine Zuhörer bereits an deine Vorträge haben. Auch wenn diese nunmehr lebendiger und viel professioneller wirken – es ist anders als gewohnt.
  3. Diese Technik ist zu Beginn sehr zeitaufwendig: Du durchläufst und erarbeitest die 3 Phasen der Autorschaft mit der äußeren Struktur des Sprechtextes, die Regie mit ihrer inneren Handlungsdramaturgie und die Darbietungsphase der sprachlichen Umsetzung. In meinen Trainings setze ich 10 Module (also 10 Wochen) für die Vorbereitung deines ersten Vortrags (von etwa 60 Minuten Länge) an. Auch die Proben der Sprachhandlungen in der letzten Phase brauchen sicher mehr Zeit als ein Auswendiglernen. Der Arbeitsaufwand ist also durch die Erarbeitung mit Schauspieltechnik anfangs besonders hoch und bleibt auch später ein entscheidender Punkt.
  4. Manche Vortragende befürchten, dass sie für die Vorbereitung mithilfe von Schauspieltechnik eine schauspielerische Begabung brauchen. Das ist zwar nicht der Fall (im Schauspiel bezieht sich der Faktor Begabung auf den fiktionalen Aspekt von Rolle und Situation), aber natürlich benötigt eine komplexe Technik Denken und Übung und viele Proben. Du wirst Vorgänge erlernen und auch den Einsatz deiner Stimme erproben müssen. Das ist anstrengender und ungewohnter als das vormalige Auswendiglernen deines Vortragstextes.
  5. Wenn du also nur sehr selten Vorträge hältst und nicht den Willen hast, diese zu maximaler Qualität und Wirkung zu bringen, dann ist Schauspieltechnik dafür zu erlernen und einzusetzen vermutlich zu aufwändig für dich.
  6. Wenn du mit Schauspieltechnik an deinen Vorträgen arbeiten willst, könnte die Befürchtung auftauchen: Passt dieses persönliche und so lebendig wirkende Sprechen zu meinen Inhalten, meinem Thema, meinem Expertenstatur und zu meinem (Fach-)Publikum? Werde ich unterhaltsam und sogar privat wirken, anstatt professionell? Nun, Schauspieltechnik macht aus deinen Vorträgen keine Komödien oder Tragödien, dennoch hängt es von deiner Auffassung von Expertentum und Professionalität ab, ob diese mit Persönlichkeit und scheinbar freier Gedankenentfaltung vereinbar sind.
  7. Diese Technik der Vortragsvorbereitung braucht zwar keine Vorkenntnisse, dennoch ist sie komplex und vor allem ungewohnt. Sie bricht mit allem, was uns Schule und weiterführende Bildung an Text-Umgang gelehrt hat. Dieses Loslassen der Inhaltsperspektive bei Texten fällt vielen zunächst schwer. Und das Einnehmen einer Handlungsperspektive ist noch weitgehend unbekannt. Das Umdenken rutscht des öfteren wieder in die alten Denkmuster zurück und muss immer wieder neu etabliert werden, bis es „sitzt“.
  8. Noch dazu kommen neue Aspekte gegenüber der herkömmlichen Vortragsvorbereitung hinzu: deine Stimme und der restliche Körper. Und auch wenn die Schauspieltechniken diese körperlichen Vorgänge nicht kleinteilig inszenieren, so wirst du hier einiges an Wissen und vor allem an Übung investieren müssen, um das körperlich vernachlässigte Vortragen grundlegend zu ändern. Diese Auseinandersetzung mit Atmung, den Möglichkeiten der Stimme, der körperlich definierten Präsenz deines Auftretens – all das kommt zeit- und kraftraubend gegenüber einer „normalen“ Vortragsvorbereitung hinzu.
  9. Dein Trainer wird sehr präzise mit dir an diesen Techniken arbeiten. Das kann phasenweise frustrierend und sogar lähmend sein: du atmest und sprichst und bewegst (oder vielmehr: stehst) schon seit Jahrzehnten. Und jetzt wird ein großer Teil davon wieder aufgerollt, bewusst gemacht und explizit trainiert.
  10. Auch die Skripterstellung zu Beginn der Vortragsvorbereitung ist für die Anwendung der Schauspieltechnik unerlässlich. Anstatt deine Informationen nur nach logischen Gesichtspunkten (zumeist als kausale Abfolge) zu gliedern, diese Gliederung dann in Stichpunkten zu fixieren und dann „frei“ zu sprechen, benötigt die Anwendung von Schauspieltechnik einen ausgearbeiteten Text als Grundlage.
  11. Obwohl Begabung – wie gesagt – keine Bedingung darstellt, so gibt es für den fruchtbaren Einsatz von Schauspieltechnik dennoch eine klare Voraussetzung: die Leidenschaft für das Thema – keine Darbietung ohne Mission! Mit anderen Worten: Nur Abliefern ist keine Option.

Fazit: Mit Schauspieltechnik kannst du wirklich begeisternde Vorträge halten – wenn das dein Ziel ist

Wenn dein Anspruch an deine Vorträge sowohl in Hinblick auf die Gelassenheit und Freude (du willst Flow erleben!) als auch auf ein Begeistern deines Publikums sehr hoch ist, dann wird sich die Anstrengung lohnen. Die Zeit und der Arbeitsaufwand, das Erlernen einer ganz neuen Herangehensweise – all das wird vom Ergebnis mehr als aufgewogen. Auch gehen die Erwartungen des Publikums an Vorträge, ja, auch an Fachvorträgen, immer stärker in Richtung einer persönlichen Darbietung persönlich erlebter Themen. Informationen allein lassen sich – ohne Zeit- und Ort-Gebundenheit heute jederzeit online finden. Was zählt ist mehr denn je die Wertung und das eigene Durchleben der Inhalte.

Damit dieses Durchleben jedoch entstehen kann, wird Rhetorik, die Kunst der Formulierung einer Rede nicht genug beitragen. Schauspieltechnik bietet – bei allen Nachteilen – die Möglichkeit, deine Inhalte vor den Augen und Ohren deines Publikums zu aktualisieren. Das heißt, ihnen den Wert und die Wirkung eines jetzt stattfindenden Geschehens zu geben. Dein sprachlicher Ausdruck wird zum Ausdruck deiner Persönlichkeit, die sich jetzt handelnd mit ihrem Thema öffentlich auseinandersetzt.

Die Wirkung eines solchen Sich-Äußerns ist emotional, ergreift und überzeugt, anstatt bloß zu informieren und zu argumentieren. Schauspieltechnik macht den Menschen im Vortragen maximal sichtbar und gibt seiner Mission den Charakter eines leidenschaftlichen Ereignisses.

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