Mein großer Turnaround: Vom Elfenbeinturm des Theaters ins Haifischbecken der Wirtschaft

Elma Esrig, in einem lila Kleid und Strickjacke, sitzt vor ihrem Laptop mit Kopfhörern im Ohr und hält eine rotgetigerte Katze im Arm.
Eine Katze hilft immer. Oder ein Hund. Oder ein Pferd.

Als Kind (mit einem Theater-Regisseur als Vater) habe ich eine Überdosis Veränderungen abbekommen. Umzüge (ins Ausland und innerhalb Deutschlands), Schulwechsel (mit verschiedenen Schulsystemen), Verlust von Freundschaften – all das hatte aus mir im Erwachsenenalter eine Beständigkeitsfanatikerin geformt. Eigentlich … Denn trotz dieser inneren klaren Festlegung auf Dauerhaftes, beschenkt mich nicht nur das Leben, sondern beschenke auch ich mich selbst immer wieder mit Umwälzungen.

Im beruflichen Kontext gab es diesen Switch, meinen kleinen Turnaround, 2014. Bis dahin war ich neben meiner Tätigkeit als Schauspiel- und Regiedozentin nebenberuflich Pferdetrainerin. Was bedeutete, dass ich mit Menschen und ihren Pferden in Workshops und Einzeltrainings die Grundlagen und Feinheiten der Kommunikation erarbeitete (Bodenarbeit, Verladetraining, Gymnastizierung, Reiten). Dann ergab es sich, dass dem Fach „Sensibilisierung“ an meiner Theater- und Filmakademie die Dozentin fehlte. Ich sprang ein und entwickelte (bald fest dafür platziert) ein eigentümliches Training für Körperausdruck und Präsenz für Schauspielstudierende und ausgebildete Darsteller. Zunächst nur für die Athanor Akademie (an der ich auch meine anderen Fächer unterrichtete), später ebenso für Studierende und Absolventen weiterer Schauspielschulen. Mein Training wurde 2018 auch von der Aufsichtsbehörde in der Regierung Niederbayern als geeignetes Training für Schauspielstudierende anerkannt und seitdem gefördert.

Äußere Anstöße für meinen großen Turnaround: Die Corona-Pandemie

Dann bahnte sich 2020 – scheinbar ganz ohne mein Zutun – eine große Umwälzung an. Einen wichtigen Anteil daran hatte der Ausbruch der Pandemie. Die ersten großen Coronawellen brachten nicht nur meine Pferdetrainings zum Erliegen, sondern auch die Gruppen-Workshops für Präsenz und Körperausdruck mit Schauspielern. Zuerst, weil es verboten war. Dann aber, weil die finanziellen Einbrüche für Pferdebesitzer, Schauspielschulen und Theatern deutlich spürbar wurden. Allein vier meiner Kunden gaben die Pferdehaltung auf, Schauspieler konnten sich zusätzliche Trainings nicht mehr leisten und Schauspielschulen beschränkten sich auf den unbedingt notwendigen Grund-Unterricht.

Statt dessen aber erschienen nach der Lockerung der Kontaktregeln peu à peu andere Klienten. Sie waren weder Pferdebesitzer noch Künstler. Es waren Menschen aus der Wirtschaft, Angestellte und Freiberufler, Selbständige und Unternehmer. Sie kamen auf Empfehlung meiner früheren Kunden, aufgrund von Bemerkungen einiger Bekannten, manche einfach, weil sie meine Webseite – auf der Suche nach was genau? – gefunden hatten. Ihnen allen gemeinsam war das Bedürfnis, ihre innere Welt auf ein neues, stabiles Fundament zu stellen: Auf ihre Fähigkeiten, Werte und emotionale Ressourcen – unabhängig von der sich als enorm unsicher erwiesenen allgemeinen Wirtschaftslage.

Innere Impulse: Die Zeiten an der Theater-Akademie ändern sich

Ein Gruppenfoto des 1. Jahrgangs der Athanor Akademie von 1995 am Mautnerschloss im Burghausen.
Der erste Jahrgang an der Akademie 1995: Mein Vater rechts unten und ich oben links (mit Sonnenbrille im Haar)

Bereits 2018 aber war auch in mir etwas in Bewegung geraten. Mit dem Ausscheiden meines Vaters aus der Leitung der Athanor Akademie für Theater und Film und aus dem Vorstand ihres Trägers, dem Athanor Verein, bahnten sich neue Zeiten an. Mein Vater, David Esrig, hatte 1995 diese Akademie gegründet. Seine Methode der Theaterarbeit, seine Wert- und Qualitätsmaßstäbe hatten seitdem die Ausbildung dort geprägt. Er war der große Meister und – ja – auch irgendwie der Grund, warum ich selbst mich über eine so lange Zeit hinweg (ich war seit dem Jahr der Gründung als Dozentin dabei) mit dieser Tätigkeit identifizieren konnte.

Elma Esrig in Jeans Latzhose und Text in der Hand erklärt einer Darstellerin in Kostüm eine Handlung im Probenraum.
In den Proben zu „Strange Beings“ Mai 2023 mit Regieschülerin Greta Bennecke

Nun wehte der Wind aus einer anderen Richtung. Und ich begann mich zu fragen, was von dieser faszinierenden Methode, die mein Vater für Schauspieler entwickelt hatte, seinen Weggang überdauern konnte – und wie. Sicher, ich unterrichtete an der Akademie und führte – mir anverwandelt – diese Methode fort. Eine Methode, mit deren Hilfe Text zu einer lebendigen Handlung verwandelt werden konnte. Aber da wuchs dieser eigenartige Gedanke in mir: kann dies nicht auch für Nicht-Schauspieler sinnvoll, ja, vielleicht sogar notwendig sein? Für Experten, die in ihren Vorträgen andere Menschen erreichen, ihr Denken, ihre Haltung und ihre Handlungen verändern wollen. Für Experten, deren Themen an sich nicht unterhaltsam sind, aber deswegen umso mehr einer mitreißenden Darbietung bedürfen.

Ich begann mich mehr und mehr von dem Gedanken zu lösen, dass ich Schauspiel- und Regiedozentin war und bleiben musste, auch von dem Gedanken, dass die Methode der „Handlungspartitur“, die aus Text ein Erlebnis macht, auf das Theater beschränkt ist. Und schließlich von dem Gedanken, dass es zwischen der Welt der Kunst und der des Business keine wesentlichen Berührungspunkte gibt.

I´m an Englishman in New York

Elma Esrig neben und vor einer Bücherwand. Sie ist schwarz gekleidet, trägt eine Brille und blättert stehend in einem alten Buch.
Und Bücher helfen. Sie sind meine Anker in der neuen Welt, die ich gerade betrete.

Im Herbst 2021 begann ich mit den Vorbereitungen für den großen Turnaround. Es mag für dich verblüffend sein, aber ich war 53 Jahre alt und hatte bis dahin nie wirklich Kontakt mit Coaches, Unternehmern, Selbständigen – mit Menschen aus der Wirtschaft, ganz allgemein gesprochen. Mit Eltern, die beide aus dem Theaterbereich kamen (meine Mutter war Dramaturgin und Theaterwissenschaftlerin, mein Vater – wie gesagt – Theaterregisseur) und die ihren gesamten Freundeskreis im kulturellen Milieu angesiedelt hatten (mit Ausnahme von ein oder zwei Politikern, vielleicht), hatte ich auch meine engeren Kontakte in Künstlerkreisen; ein paar Philosophen aus dem Studium und eine Mathematikerin waren noch die Ausnahmen.

Und nun stürzte ich mich kopfüber (so fühlte es sich tatsächlich an!) in die Welt der Wirtschaft. Alles, was ich bin und konnte, schien verkehrt zu sein: Meine Schreibweise mit ellenlangen, von Nebensätzen unterbrochenen Ausführungen. Mein Understatement. Mein Humor. Meine elitäre Arroganz. Meine philosophischen Andeutungen. Meine neugierig-naiven Fragen. Als ich im Frühjahr 2022 zum ersten Mal auf LinkedIn und Instagram Posts schrieb, tat ich das ohne Absätze und gelangte regelmäßig über die erlaubte Zeichengrenze hinaus. Ich wusste nicht, was ein Hashtag war, wie Marketing geht, was eine Positionierung, eine Zielgruppe, ein Freebie war. Ich stand mit großen Augen dem geschäftigen Treiben der Businesswelt im Weg herum.

Meine Hilflosigkeit war nicht zu übersehen und rührte ein paar mitleidige Wesen, die mir über die schlimmsten Anfängerfehler hinweghalfen. Den Rest begann ich mir mit bezahlten Trainings und Dienstleistungen anzueignen und zuzulegen: E-Mail-Marketing, neue Webseite, die ersten Ansätze von Werbung, und vieles mehr. Ich zahlte viel für Überflüssiges und sogar Sinnloses. Ich lernte oft durch Schmerz, durch Fehler, Patzer, Misserfolge. Ich arbeitete unglaublich viel, aber ineffizient und ineffektiv.

Und doch: ich lernte meine neue Zielgruppe, meine Lieblingsklientinnen lieben. Es gibt sie und immer öfter finden wir (von beiden Seiten her) zueinander: diese hochhausgebildeten, intelligenten Frauen, die überhaupt nicht abgebrüht und pragmatisch geworden sind, sondern leidenschaftlich für ihre Themen brennen und andere Menschen gewinnen, die Welt verändern wollen. Unter ihnen bewege ich mich nicht mehr so scheu. Ich kann mir mit solchen Menschen die Welt der Wirtschaft ganz langsam als ein zweites Zuhause vorstellen.

Eine Frau mit Schirmmütze und Brille lächelt mit Ordner in der Hand in die Kamera.
Mein erste und sehr liebgewonnene Kundin Gudrun ❤️

Und wie geht es nun weiter?

Fast 18 Monate ist er nun her, mein großer Turnaround, und ich bin noch weit davon entfernt, mich etabliert zu fühlen. So viel ich auch schon gelernt habe, so Vieles bleibt noch zu tun. Ich bin immer wieder zu ausschweifend und unklar in meinen Botschaften. Marketing betreibe ich mit einer Pinzette und Verkaufen ist mir noch so fremd wie Tiefseetauchen.

Aber es ist alles noch viel spannender und interessanter als zunächst vermutet. Ich präzisiere fortlaufend meine Angebote und ihre Darstellung. Ich finde weitere Möglichkeiten, mein Wissen für meine neuen Klienten zur Verfügung zu stellen. Ich werde schneller im Lernen und smarter im Handeln. Ich freue mich über Kontakte mit Menschen, die mir noch vor kurzer Zeit wie Aliens vorgekommen sind. Vorurteile, Halbwissen, Überheblichkeit und Unwissen weichen – von Enttäuschungen begleitet, dennoch – positiven Überraschungen, Erkenntnissen, neuen Fähigkeiten und Verbindungen. Diese Verbindungen, jenseits wirtschaftlicher Interessen, lassen mich hoffen, dass es nicht hoffnungslos ist mit mir. Und dass es gut werden wird.

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