Präsenz und ihr Impact nach außen

Januar 5, 2022

Kurs mit Schauspielschüler/innen der HfS Ernst Busch BerlinPräsenz

Die Präsenz eines Menschen hat – und daran denken wir bei diesem Begriff zunächst – eine Strahlkraft nach außen, auf andere Lebewesen, auf andere Menschen. Was und wie ist diese Wirkung, die keinem sichtbaren Handeln entspringt, und sich scheinbar allein unserem Da-sein verdankt?

So sehr wir auch Präsenz wahrnehmen und ihrem Einfluß erliegen können, so sehr sträubt sich auch immer etwas in uns, und wir wehren uns gegen diese vermeintliche Beeinflussung jenseits der Vernunft. Es gibt ja keinen berechtigten Grund, so denken wir dann, uns in den Sog einer fremden Existenz ziehen zu lassen. Etwas anderes wäre da eine sachlich begründete Autorität, ein Vorsprung an Wissen, Erfahrung oder Können, dem man sich vernünftigerweise anvertrauen könnte. Aber genau das ist hier ja nicht der Fall, oder jedenfalls ist es nicht das allein und nicht wesentlich das.

PferdeStärkenPräsenz

Pferde reagieren sehr deutlich und vorbehaltlos auf diese … ich möchte sie lieber Fähigkeit nennen als „Eigenschaft“. Ja, sie suchen sie geradezu und nehmen von sich aus den Kontakt auf, wenn ihnen der Mensch präsent gegenübertritt. Ihre Wahrnehmung und Reflektion dieser an nichts Äußerlichem festzumachenden Ausstrahlung sind so präzise und klar, dass sie hervorragende Lehrmeister für das Erleben und Trainieren der eigenen Präsenz abgeben. Anders als bei vielen Menschen, wird ihr Selbstbild nämlich nicht gekränkt und beschädigt, wenn sie dem Einfluß eines anderen Wesens erliegen. Das Angesprochenwerden und Angezogensein davon ist ihnen offenbar sogar eine Freude oder ein Genuss. Besonders interessant dabei ist, dass sie Präsenz nicht automatisch und bleibend mit der Person verknüpfen. Wenn jemand keine Präsenz aufbietet, ist ihr Interesse gering, um dann sehr schnell zu erwachen, wenn dieser Mensch in seine Kraft findet. Verliert sich diese wieder (denn Präsenz aufzubieten und zu halten ist ein Trainingsprozess), verliert auch das Pferd bald wieder den Kontakt. So eine punktgenaue, vorurteilslose Rückmeldung ist aber genau das, was wir brauchen, um im Detail zu erfahren, was wir tun, wenn wir Präsenz zeigen.

Das pferdegestützte Coaching ähnelt dann einer besonderen Art von Topfschlagen, wobei wir vom Pferd genau gelotst werden, wann wir uns dem inneren Handeln des Präsentseins nähern und wann wir uns wieder davon entfernen. Natürlich verstehen wir auch intellektuell die Anforderungen, es ist uns bewußt, was zu tun ist. Aber das nötige Handeln ist dermaßen körperlich, dass es sich immer wieder entzieht – es sei denn, unsere Intuition übernimmt nach und nach das Ruder. Nur dann sind wir authentisch und dadurch auch unmittelbar. Diese Unmittelbarkeit aber ist ein wichtiger Aspekt von Präsenz. So brauchen wir also einen Trainer, der uns nicht nur einfach unterweist und verstehen lehrt, sondern auch einen, der uns körperlich erfahren und erleben läßt: das Pferd.

Mein Lehrmeister Andrej

Leichtigkeit und Weichheit

In der spezifischen Arbeit mit Pferden ist die Leichtigkeit, mit der ein Pferd unseren Vorschlägen folgt, ein erstrebenswertes Ziel. Damit ist gemeint, dass es ohne psychischen und damit auch ohne physischen Widerstand umsetzt, was der Mensch initiiert. Diese Bereitwilligkeit des Pferdes macht zu einem großen Teil unsere Freude in der Zusammenarbeit aus. Wer will schon etwas erzwingen und kämpfen? Ganz abgesehen davon, dass die meisten (oder zumindest viele) Menschen ein Bewusstsein davon haben, dass Misshandlung nicht erst im derb Körperlichen beginnt, sondern bereits in einem Nötigen dieser so sanften Wesen. Und ja, es ist sicher ein gewisser Hinweis auf die Führungsqualität einer Person, wenn ihr Pferd-Partner die Vorschläge leicht und ohne Widerstand auszuführen bereit ist.

Aber: die Fähigkeit zur Präsenz zeigt sich in ihrer vollendeten Eigenschaft erst in einem weit über die Leichtigkeit hinausgehenden Erlebnis. Es ist die Weichheit, zu der ein Pferd fähig ist, wenn es gern und mit Begeisterung mitarbeitet. Dies ist mehr und etwas anderes als nur die Widerstandslosigkeit der Leichtigkeit. Es ist eine – auch vom Pferd auf uns hin – entstehende Gemeinschaft, in der es den Menschen sucht und sich für seine Ideen selbst einsetzt. Weil diese anziehend sind und dieser Mensch dadurch Respekt und tiefes Vertrauen einflößt.

Auf diese Qualität zielt mein Training ab und wird nur durch eine sensible Präsenz des Menschen im Kontakt mit dem Pferd erreicht.

Präsenz ist stärker als Halfter und Seil

Präsenz ist innere Aktion

Ich habe es schon angedeutet: Präsenz ist keine Gabe oder Begabung, sondern eine Fähigkeit. Es mag für manche wie eine Gabe, wie ein Geschenk erscheinen, weil sie das Richtige tun, ohne zu wissen, was sie da tun. Aber da Präsenz eine spezifische innere Aktion ist, ist sie de facto auch „erlernbar“. Aha! Anführungszeichen! Also, was denn nun? Nun, dieses Handeln des Präsentseins erlernt man nicht auf die herkömmliche Art, das ist damit gemeint. Es reicht nicht die Unterweisung und das verständige Begreifen – man muß erfahren und erleben und sich körperlich einlassen. Dieses ganzheitliche Verstehen ist in großen Teilen ein physisch-bildhaftes Versuchen und Korrigiert- oder Bestätigtwerden durch eine Instanz, die nur Präsenz versteht: das Pferd. Hier gibt es keine argumentativen Inhalte, keinen Status, keine Dominanz, die statt der Präsenz des Menschen zum Tragen kommen könnte. Entweder ich bin da und in meinem Handeln anziehend, oder ich bin einfach nicht existent, störend oder furchterregend.

Die innere Aktion der Präsenz ist der Aufbau einer Energie mit einer bestimmten Qualität. Es ist das Sich-Selbst-Ins-Spiel-Werfen und Engagiert-Sein. Im Schauspiel nennt man das auch: auf „Spielhöhe“ sein.

Kurs mit Schauspielschüler/innen der HfS Ernst Busch BerlinKonzentration der Präsenz

Energie der Körperspannung

Unsere eigene innere Energie scheint zunächst so wenig beeinflussbar wie die Tätigkeit mancher unserer Organe. Ja, eher scheint sie uns zu bestimmen, als umgekehrt. Und doch kann man – über Visualisierungen, die den Körper führen – nach und nach den Spieß umdrehen. Zunächst einmal gilt es zu entdecken, dass die innere Energie eine Form der Körperspannung ist. Und zwar jene, in der unser Körper engagiert und handlungsbereit ist, also genau das richtige Maß an Spannung für die beabsichtigte Handlung und deren Ziel aufweist. Sind wir körperlich unterspannt, gelingt die Handlung nicht oder nicht vollständig. Sind wir überspannt oder verspannt, stehen wir uns selbst im Weg und können nicht geistesgegenwärtig und souverän agieren.

Die richtige Körperspannung aber ist nicht absolut. Sie hängt vom Ziel und vom Gegenüber, vom Pferd (bzw. vom anderen Menschen) und dessen Zustand, ab. Nur in der sensiblen Wahrnehmung der Situation und meines Partners, nur in der richtigen und unmittelbaren Einschätzung meiner Ziele gestalte ich die eine Körperspannung, die in ihrer Stärke und Qualität stimmig ist. Und nur diese erlebt ein Anderer als „Präsenz“.

Versteckspielen

Mentale Energie: Wolle!

Der körperlichen Spannung entspricht eine mentale Fokussierung. Beide Energien sind aber tatsächlich nur die zwei Seiten ein- und derselben Münze. Nur weil Menschen heute (und lange schon) so unglaublichen Wert auf die Trennung und Unabhängigkeit des Geistes vom Körper legen, muss ich hier überhaupt von zwei Seiten sprechen, was ich beim Reden über eine Münze normalerweise ja auch nicht täte…

Woher kommt nur unser unkindlicher, zaghafter, höflicher (?), vorsichtiger Konjunktiv, mit dem wir die anderen vor unseren Absichten und Wünschen zu schützen suchen … und uns selbst vermutlich vor der Enttäuschung, wenn wir unsere Ziele nicht erreichen? Die Präsenz einer Person wirft wirklich etwas in die Waagschale, kein „Es-wäre-schön, wenn du“, oder „Könntest-Du-vielleicht-mal“. Das heißt nicht, dass man grob wird, sondern: etwas ist mir wichtig und deshalb bin ich klar und bestimmt. Und ja, das Risiko, dass es sich härter anfühlt, wenn ich mein Wollen nicht umsetzen kann, ist dann höher für mich, aber die Wahrscheinlichkeit, dass es überhaupt als existenzielles Vorhaben wahrgenommen und als attraktiv empfunden wird, auch!

Das Pferd will gehen, der Mensch aber stehenbleiben

Blick und Fokus

Ein körperlicher Brennpunkt unseres inneren Wollens ist unser Blick. Ähnlich wie das Pferd „fasse ich ins Auge“, was ich denke und beabsichtige. Anders als Pferde aber sind Menschen unrühmliche Meister darin zu „dissoziieren“ und körperlich hier, geistig aber weg oder woanders zu sein. Das ist die Untergrabung der eigenen Präsenz (der Name sagt es ja schon). Wie sollen wir etwas ausstrahlen, wenn wir nicht hier und nicht eins sind? Das Anblicken des Gegenübers, ein Blick aber, bei dem ich ihn wirklich sehe und dadurch auch selbst gesehen werden kann (oh Gott, mag man jetzt denken), ist in der Präsenz implementiert. Dieser Blick geht durch unseren ganzen Körper: wir wenden uns zu! Und der Blick hat Eigenschaften: auffordernd oder anerkennend, sehnsüchtig, in die Schranken weisend, …

Kein blosses In-die-Richtung-gucken, aber auch kein In-die-Augen-starren: Blicken will erfahren und mit Sinn gefüllt werden.

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Mythos: Alpha – Dominanz

Es wäre ein tragischer (und besonders dummer) Irrtum, würde man die Präsenz eines Menschen mit der Dominanz eines „Alpha-Status“ gleichsetzen. Ein Gedanke, der schon in der Tierwelt nicht stimmt und dort nur Missdeutungen generiert, ist die Hierarchiesierung von Beziehungen (Alpha bis Omega) aufgrund von Dominanz. Die Präsenz eines Lebewesens gründet sich gerade nicht auf dessen Status und auf seine Machtausübung, sondern auf die Fähigkeit, anziehend zu sein, Respekt und Vertrauen in einem anderen zu wecken. Es ist eine Fähigkeit der Einflussnahme aufgrund der eigenen Persönlichkeit, nicht der erworbenen oder erkämpften Privilegien.

Gerade Pferden gegenüber (diesen großen, schweren und blitzschnellen Tieren) wird gerne Dominanz empfohlen. Aber – wie auch anderen Menschen gegenüber – ist diese Haltung in Wahrheit ein präventiver Selbstschutz, der nur die eigene Unsicherheit und Unfähigkeit, sich selbst und anderen zu vertrauen, entblößt. Und zwar – in Wirklichkeit (und deswegen tragisch) – für das Gegenüber wahrnehmbar entblößt, so dass es das Gegenteil des Beabsichtigten erreicht. Die Kontrolle, die wir uns im Alpha-Getue so sehr wünschen und an uns reißen wollen, sie wird uns tatsächlich immer nur vom anderen freiwillig übergeben – wenn wir Präsenz ausstrahlen.

Stärke ist nicht Dominanz

Respekt, Vertrauen – Faszination

Wer präsent ist, dabei seiner selbst und seiner Absichten bewußt ist, sich körperlich in die Lage versetzt hat, sein Ziel mit dem genau richtigen Maß und der stimmigen Art von Energie zu erreichen, der flößt Respekt und Vertrauen ein. So weit – so ungenügend! Wahrer Präsenz gelingt – ich erwähnte es schon – ein weit darüber hinausgehender Impact auf ihr Gegenüber: es ist die Energie der Faszination, des Mitreissens und Begeisterns. Der präsente Mensch macht andere nicht nur tun, sondern wollen, was er vorschlägt. „Ach je“, schreit der kritische Verstandesmensch auf, „Verführung“! Ja, genau – und das ist eine ungeheure Verantwortung für den Verführer. Natürlich gibt es darin eine Verantwortlichkeit, wenn ich verführe: es darf nicht nur zu meinem Besten sein, sondern soll auch den Verführten zu etwas Gutem, Sinnvollem, Schönem oder zumindest Fröhlichem führen. Die Verführung ist ein Faszinieren des anderen, ein Mitnehmen auf ein gemeinsames Ziel hin, bei dem meine Energie und Absichten überspringen und anstecken.

Und: in der vollendeten, in der perfekten Verführung, gibt es keinen Unterschied mehr zwischen dem Initiator und demjenigen, der ihr erliegt. Denn Letzterer wird ja selbstgewählt tätig und betreibt von sich her die Handlungen auf das Ziel hin. Mit anderen Worten: während er in der Leichtigkeit nur nicht Widerstand leistet (aber in der Rolle des Behandelten bleibt), wird er in der Weichheit des Fasziniertseins selber tätig und entspricht mit seinem Tun „unserem“- jetzt gemeinsamen – Ziel.

Let´s go! – und führe

Präsenz, schließlich, ist die Fähigkeit eines Führenden – im Unterschied zur Dominanz eines Bosses. Da gibt es diese schöne Kurzformel: „Der Boss sagt: Go! – Der Führende sagt: Let´s go!“

Die Präsenz begeistert und reisst mit, weil sich in ihr der Führende selbst engagiert. Er macht sich dadurch vielleicht auch verletzlich oder angreifbar, andererseits aber verbleibt alles, was er erstrebt und was er dafür selbst aufbietet unter dem „Schutz“ seiner Anziehungskraft.

– Manchmal ist der beste Schutz, eben keinen zu bauen, zu zimmern und zu mauern.

Let´s go … somewhere

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