April 2, 2022
Wir sind arg verletzliche Wesen und das wissen wir auch, wir wissen es nur zu gut. Das Universum ist riesig, undurchschaubar und eigen-sinnig (kein Trennfehler hier!); es widersetzt sich immer wieder unserem logischen Zugriff. Und wir … hineingeworfen in diese Undurchschaubarkeit.
So kann man sich fühlen. Was rede ich da? So fühle ich zumindest mich immer mal wieder, immer dann, wenn die Ereignisse sich überschlagen, wenn die Welt um mich her schnell wird und ich die Welle des Lebens nicht reiten kann.
Als es das letzte Mal bei mir so war, schrieb mir eine liebe Bekannte einen Brief. Sie schrieb einen Brief auf Papier und verschickte ihn mit der Post :-). Diese wiederum hatte mit der sich in Ereignissen überschlagenden Realität nichts am Hut und brauchte 9 Tage, um die Manufaktur von Hannover nach Passau zu befördern. Als es endlich geglückt war und ich den Brief lesen durfte, stand da: „Vertrauen statt Kontrolle. Ich lasse die aus Angst entstandene Kontrolle los und vertraue mir und dem Prozess!“
Die Angst dahinter: alles ist das Fremde
„Ja, natürlich“, dachte ich, „so ist das“: Kontrolle, dieser klammernde, feste Griff, entsteht wie ein Reflex aus Angst. Es ist die Angst, überwältigt zu werden, nicht mit zu kommen, zum Spielball zu werden … es ist die Angst, wenn alles andere zum schlechthin „Fremden“ wird. Und dieses „Fremde“ – Ereignisse, Natur, manchmal Tiere – bedroht dann scheinbar das eigene Leben, zumindest die Unversehrtheit des Körpers. Andere Menschen schließlich (allesamt „Abgründe“, wie Woyzeck sagt): unberechenbar, bedrohlich, von mutmaßlich oder wirklich feindseligen Antrieben geleitet … Die Angst hinter dem Kontrollwunsch ist die Ausgesetztheit der Existenz (wie Heidegger es nennen würde). Und das ist wohl der Grund, weshalb eine solch ungeheure Vielzahl unserer Handlungen darauf abzielt, Sicherheit durch Kontrolle herzustellen.
Die Macht der Kontrolle
Kontrolle braucht natürlich Macht, um zu gelingen. Das Fremde soll ja gezähmt, am besten mir einverleibt oder anverwandelt werden, darf nicht eigen-artig (schon wieder kein Trennfehler) bleiben. Ist das jetzt der „Impact“, von dem ich immer spreche? Der Impact auf andere Menschen? Der Impact gar auf die Welt, für den ich mit meinem Claim „Be the difference“ („Was es mit meinem Claim auf sich hat„) stehe? Der angestoßen, experimentiert und sozusagen bemuskelt wird im pferdegestützten Präsenztraining und im Vortragstraining?
Kontrolle im Training von Pferden
Es kann vielleicht so scheinen. Denn zum Beispiel gerade in der Arbeit mit Pferden spielt das Thema Kontrolle ja wirklich eine Hauptrolle.
Hier wollen wir doch tatsächlich ein Wesen, das über weit bessere Sinnesleistungen verfügt, das größer, stärker und wesentlich schneller (vor allem in seiner Reaktionszeit) ist als wir selbst, dazu bringen, unsere Anweisungen auszuführen. Wäre das nicht lächerlich und zum Scheitern verurteilt oder zumindest irrsinnig riskant, wenn man da nichts „in der Hinterhand“ hätte? Wenn man das, was man da lostritt, nicht kontrollieren, die freigesetzte Energie eines 700 kg-Körpers nicht einfangen, bei sich behalten … im Griff haben könnte?
Und da zeigen sich sogleich zwei interessante Aspekte: Zum einen bemisst sich in einer solchen Denkweise die Macht des Menschen daran, wie vollkommen das Pferd „bereit“ ist, sich in seinen Handlungen von seiner eigenen Natur zu entfernen, wie vollständig es sich dem Menschen dabei „hingibt“ (oder unterwirft). Das Bild, das ich hier vor Augen habe, ist das auf dem Rücken liegende Pferd, die Beine in die Luft gestreckt, und der Mensch, der auf seinem Bauch sitzt, oder gar liegt. Einige werden schon eine solche Probe des kontrollierenden Vermögens von Trainern in Videos auf Facebook oder YouTube gesehen haben …
Zum anderen will Kontrolle hier von vornherein verhindern, dass das Pferd etwas „von sich aus“ tut, etwas, wonach der Mensch gar nicht gefragt hat… und was uns in unserer Reaktionsmöglichkeit dann überfordern könnte.
In beiden Aspekten wird deutlich: Kontrolle will den Eigen-Sinn des Fremdartigen löschen. Angst essen nicht nur die eigene Seele auf (frei nach Fassbinder), sondern, wenns ernst wird, auch das Anderssein des Anderen.
Kontrollwerkzeuge
Das Mittel der Wahl für Kontrolle (besonders von anderen Arten) ist die Konditionierung. Sie soll dafür sorgen, dass das Pferd auf einen bestimmten Reiz hin quasi „automatisch“, als Reflex, ein bestimmtes Verhalten zeigt. Dass es gewissermaßen „nicht anders kann“, als auf eine für uns vorhersagbare Weise zu reagieren.
Ich sehe diesen Wunsch, oder vielmehr das Bedürfnis, zu kontrollieren, aber oft genauso in unserem gesellschaftlich geregelten Umgang mit anderen Menschen … Es scheint, als hätten wir im Laufe der Zivilisation eine ganze Menge von Tools entwickelt, um Kontrolle über andere zu erlangen – zu unserer eigenen Sicherheit. Denn der/die/das Andere ist ja gefühlt eine Gefahr, weil unberechenbar.
Am Rande bemerkt: Welch interessanten Chancen sich in dieser Nicht-Berechenbarkeit verbergen, wird dabei nicht gesehen. Ich verstehe schon und nur zu gut unser Bedürfnis nach Konsistenz und Vorhersagbarkeit. Und dennoch versuche ich hier (ganz vorsichtig und mindestens so sehr für mich selbst wie für dich) darauf hinzudeuten, dass die Herausforderung durch das Fremde spannend ist. Dass es andere Wege der Verbundenheit gibt als das Zutreffen unserer Erwartungen. – Vermutlich das, was meine Bekannte in ihrem Brief als „Vertrauen“ bezeichnete. Ein Vertrauen in uns selbst als Teil (nicht als Herrscher über) einer Welt. Diese darf dann wohl ihr Anderssein behalten, ohne uns fremd zu erscheinen.
Lieblingskontrolleure
Aber zurück zur Kontroll-Strategie: Wenn eine Person über ihren Status Kontrolle über andere ausübt, so ist das auch eine Form, präventiv eine Machtstruktur zu etablieren. „Präventiv“ soll heißen, dass es möglichst gar nicht erst dazu kommen soll, dass ich meinen Einfluss jetzt real aufbauen muss. – Ich bin ja schon – qua meines Status´ – in einer Position, die mir Macht zugeteilt hat, ohne, dass ich diese in meiner Person gründen und (zum Beispiel durch Erfahrung, Können, … durch Präsenz) tatsächlich selbst erzeugen müsste.
So sichern wir uns Einflussnahme, ohne diese durch unsere Person im eigentlichen Sinn herzustellen.
Auch dominante Verhaltensweisen schließlich, die auf Körperkraft oder auf psychische Einschüchterung beruhen, vermeiden es gerade, einen echten Einfluss aufzubauen. Vielleicht will man dann sogar – wenn die eigene Unsicherheit gar zu groß wird – auch zu technischen Hilfsmitteln greifen, um Einfluss jenseits der persönlichen Befähigung zu erzielen (mit Menschen ist das in unserer Welt nicht mehr so Gang und Gäbe, aber man blättere einmal durch einen Pferdezubehör-Katalog …).
Die andere Macht von Impact
Wir lagern also in der Kontrolle die Macht gewissermaßen aus: legen sie außerhalb unserer Persönlichkeit in Konditionierung, in hierarchische Strukturen, in Kraftverhältnisse, in Technik … Immer wieder ist Kontrolle unser Mittel der Wahl, um nicht den (vermeintlichen) Kraftakt des Impacts einzugehen.
So betrachtet, zeigt sich jetzt hoffentlich ganz klar, dass diese beiden Begriffe in Wirklichkeit einander entgegengesetzt sind: Wer keinen Impact kreieren kann (oder zu können glaubt), der greift zu Kontrolle.
Impact ist Führung
Impact dagegen ist die Möglichkeit, auf das, was mir begegnet, Einfluss zu nehmen. Und zwar ad hoc, in dem Moment, in dem es mir begegnet.
Wir können Führung und Impact ausüben, durch uns selbst, letztlich durch unser Sein. Wir müssen diese „Macht“ (die Macht der Faszination) nicht an äußere Strukturen delegieren, nicht aus unserer Person auslagern. Wir müssen sie nicht durch eine präventive Kontrolle ersetzen.
Faszinierendes Handeln, das sich dem Gegenüber offen zeigt und sich zuallerst selbst engagiert, das ist der Impact, von dem ich spreche, den ich unablässig (ver)suche – für mich, für andere, im Präsenz- und Vortragstraining.
Das Wesentliche bleibt sich in beiden Impact-Feldern gleich: wer andere erreichen will, muss sich selbst öffnen. Wir tun das, wenn es uns gelingt, uns anderen zuzumuten, mit unseren Träumen und Wünschen und Leidenschaften. Das Gleis dieser Öffnung für andere ist in der Arbeit an der persönlichen Präsenz die differenzierte Spannung unseres Auftretens. Und im Vortragen geschieht das Sich-Öffnen nicht etwa durch das, was wir sagen, durch das, was unsere Begriffe nominal bedeuten, sondern durch die Handlungen, die wir „vortragend“ vollziehen. In diesen Handlungen bieten wir uns dar. Ihnen, und damit uns, folgt der Zuhörer.