Die „unsichtbare Geste“ im Pferde- und Präsenztraining

April 10, 2022

Galeon erwartet Kontakt

Körpersprache!?

„Körpersprache“! Seit einigen Jahren hat sich dieses Schlagwort als Königsweg der Kommunikation mit Pferden etabliert. Statt „Terab“ (Trab) oder statt des noch ältere „Hü“ und „Hott“, statt sprachlicher Befehle (oder, von mir aus, statt „Anweisungen“) soll man jetzt mit seinem Körper zum Pferd sprechen. … Eine Pantomime der Signale, die sich angeblich der natürlichen Kommunikationsart der Pferde untereinander bedient.    

An dieser Konzeption – oder vielmehr an dieser Ideologie – ist so Vieles falsch, dass ich überlegen muss, wo ich mit dem Zerlegen anfangen soll.

Zunächst: Menschen haben einen anderen Körper als Pferde. Unserer Physiognomie fehlt der lange Hals, es fehlen die beweglichen und ausdrucksstarken Ohren, wir haben andere Gesichtsmuskeln, keinen Schweif, wir sind senkrecht statt waagrecht aufgebaut …  – um nur die auffälligsten Unterschiede zu nennen. 

Aber dieser Konzeption folgend sieht man dann Menschen, die „sich groß machen“ (über „Brust raus“) oder gebückt rückwärts laufen, die dem Pferd starr in die Augen oder nur kleinlaut auf die Brust schauen, ja, die (wenn man Pech hat) sogar vor dem Pferd gehend „ausschlagen“ oder schnauben und wiehern …

Kommunikation?

Viel entscheidender aber ist, dass die Idee, dass mittels des Körpers „Signale“ übermittelt werden sollen, falsch ist. Es ist unsere beschränkte Interpretation, dass Pferde untereinander oder mit uns „über Signale kommunizieren“. 

Schon der Begriff „Kommunikation“ führt in die Irre, jedenfalls dann, wenn man ihn gemäß des Sender-Empfänger-Modells verwendet. Dieses besagt, dass vom Adressant eine Botschaft in Signale verpackt an den Adressaten übermittelt wird.

Was dagegen richtig ist: Pferde drücken ihre Emotionen, Gedanken und Absichten aus, und zwar in Spannungszuständen ihres Körpers (der physische Aspekt von Energie), in Positionen, die sie zu anderen Körpern hin einnehmen und in der Veränderung beider in einem bestimmten Moment (Timing). Die Verstärkung dieser Ausdrucksenergien zeigt sich dann auch in körperlichen „Gesten“ oder Handlungen. Aber Pferde verschicken keine Botschaften.

Lebendiger Ausdruck statt Signale

In meinem Training sind daher zum einen die körpersprachlichen Gesten und Bewegungen des Menschen keine „Signale“ an das Pferd, sondern einfach nur die Verstärkungen eines ihnen zugrundeliegenden, unsichtbaren Energieausdrucks. Eine solche Verstärkung kann durchaus mal als Steigerung in der Verkörperung unserer Absicht notwendig werden (wenn das Pferd abgelenkt ist oder eine gegenteilige Absicht verfolgt als wir). 

Aber im Wesentlichen geht es mir darum, das zu enthüllen und zu trainieren, was in der Geste verstärkt wird: ein energetischer Zustand, der sich geistig als Absicht und körperlich als Spannung der Tiefenmuskulatur (hauptsächlich im Rumpfbereich) äußert, ein Spannungszustand des Körpers, der sich in einer präzisen Position im Raum und zum Gegenüber (Pferd) befindet und der sich in Quantität und Qualität punktgenau verändert, wenn die Situation wechselt oder der Partner seine Handlungsweise ändert.

Die unsichtbare Geste

Meine Arbeit sucht also den Weg zurück, dorthin, wo die Geste entsteht, im Übergangsmoment vom inneren Erleben (Absicht, Gedanke, Gefühl) zu seinem kleinsten, fast unsichtbaren Ausdruck als Körperspannung.  

Dieser energetische Inhalt und Ausdruck hat keinerlei esoterische Bedeutung für mich, wohl aber eine geistig-körperliche (Absicht/Gedanke – Spannungszustand). Ich nenne ihn die „unsichtbare Geste“. 

Im Unterschied zu einem Signal ist diese nicht die Verpackung eines Inhalts, der gesendet wird. Die unsichtbare Geste ist das, was jeder möglichen Botschaft zugrunde liegt: eine körperlich sich ausdrückende Absicht, ein Gedanke, eine Empfindung. Sie verbürgt zugleich die Echtheit und Faszination meiner Präsenz für den anderen.

… im Präsenztraining

Daher verknüpft sich in der Entdeckung und Meisterung der unsichtbaren Geste das Ziel der Verständigung mit dem Pferd im eigentlichen Pferdetraining mit dem Ziel der persönliche Präsenz im spezifischen Präsenztraining. Denn auch letzteres erarbeite ich weitestgehend mit der Unterstützung der Pferde. Ihre klaren Reaktionen auf die unsichtbare Geste zeigen dem Trainierenden deren Existenz auf und zugleich die Effektivität ihrer Wirkung. 

Und darauf zu vertrauen beginnen ist entscheidend, um an etwas zu arbeiten, was – zwar subtil wahrnehmbar, aber eben – nicht sichtbar ist. Um die Kraft der unsichtbaren Geste zu erfahren und sie nach und nach zu meistern, braucht es ein Gegenüber, das mich in meinen Versuchen lotst. Pferde leben in dieser Welt des unmittelbaren Energieausdrucks. Für sie als Fluchttiere käme jede „gesendete Botschaft“ mittels Körper-Sprache zu spät. Sie brauchen und suchen die Synchronizität mit unserem Inneren.

Das Unsichtbare in der Verständigung mit dem Pferd ist der Impact des Menschen mittels Präsenz. Im Training machen Pferde in ihren Reaktionen dieses Unsichtbare „sichtbar“, erlebbar für den Trainierenden, sie zeigen unvoreingenommen und klar, wann es aufgebaut wurde und wie verbindlich, klar und faszinierend es sich für sie zeigt. 

So trainieren sie (auch über größere Entfernungen hinweg) unsere Fähigkeit, persönliche Präsenz auszubauen und in ihrer Qualität zu formen.

Wenn innerhalb weniger Minuten ein desinteressiertes, aufgebrachtes oder gar kopfloses Pferd sich auf dem Reitplatz dem Menschen anschließt, wenn es aus einer Entfernung von 20, 30 Metern herangeholt werden kann, wenn es beginnt, dessen Bewegungen synchron zu folgen und dabei immer entspannter und zufriedener wird … ohne, dass der Trainierende etwas Sichtbares tut, … dann bemuskelt sich dessen Präsenzfähigkeit. 

Sein Zutrauen in den einzigen Maßstab dafür wächst und wird unerschütterlich: gestalte die unsichtbare Geste mit geistiger und energetischer Präzision und du wirst gesehen, dir wird vertraut …  – du führst.

Präsenztraining 5
Es sieht ganz einfach aus, wenn es gelingt

Ein Beispiel aus dem Training

Der Trainierende steht frontal, ca. 2 – 3 Meter vor dem freien Pferd (dieses hat also kein Halfter und wird nicht am Seil gehalten).

Zunächst steht der Mensch in entspannter Haltung (geringe Körperspannung, Standbein-Spielbein-Position). Sein Fokus ist weich aber konzentriert auf dem Pferd, er sucht den Kontakt und dessen Aufmerksamkeit. Nun baut er Körperspannung im Rumpfbereich auf (eventuell durch Einatmen), ohne jedoch die Brust herauszudrücken. Die Beine strecken sich dadurch, die Knie bleiben locker, werden nicht nach hinten durchgedrückt. Die Vorstellung dazu kann sein, dass man den leeren Raum zwischen sich und dem Pferd „besetzt“, als würde man sich einen elisabethanischen Reifrock wachsen lassen, der einen halben Meter hinter den Vorderhufen des Pferdes den Boden berührt. Der Blick des Menschen wird härter, ohne jedoch kalt oder böse zu werden.

Das Pferd weicht – ohne Zeichen von Sorge oder Unwohlsein – ein oder zwei Schritte rückwärts. Durch die Vergrößerung des Abstands zum Menschen wird dessen weichenlassende Energie abgeschwächt. Sofern er sie nicht entsprechend vergrößert (durch Erhöhung der Körperspannung), bleibt das  Pferd nun wieder stehen. 

Wenn der Trainierende jetzt (eventuell durch ein weiches, tiefes Ausatmen) seinen Körper wieder entspannt, kann das Pferd den freiwerdenden Raum erneut einnehmen und kommt ohne Scheu oder Vorsicht wieder ein paar Schritte auf den Menschen zu. 

Ein solches Weichenlassen und Heranholen des freien Pferdes ohne jede äußere Geste oder Bewegung des Menschen erfordert Konzentration, Körperbeherrschung und etwas Übung. Es kann aber gut veranschaulichen, was ich unter der „unsichtbaren Geste“ verstehe und wie wir sie trainieren können.

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  1. Super! Danke! Ganz meine Erfahrungsrichtung. So kommt man der Bewegungssprache der Pferde näher. Mir gefallen deine Formulierungen. Dieses alberne menschliche Körpersprachengetue ist lustig, aber so unnötig.

    1. Hallo Kathrin, dein Feedback freut mich! Ich war schon darauf gefasst, lauter Körpersprache-Fetischisten, die mit großen Gesten hantieren, zu verärgern. Das wäre an sich ja völlig in Ordnung, aber als Kommentar sind mir kluge Gedanken einfach lieber. LG, Elma

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