Unter Zäsuren in einem Vortrag verstehe ich die Sprechpausen. In anderen Zusammenhängen wird dieser Begriff allgemeiner als „Einschnitt“ definiert, etwa im markanten Wechsel der Lebensphasen eines Menschen, für historische Wendepunkte oder auch in einem Vers, wo die Zäsur ein durch eine Wortgrenze markierter Einschnitt bedeutet.
In der dem Schauspiel verwandten Technik des Vortragens ähnelt die Bedeutung des Begriffs „Zäsur“ am meisten seiner Definition im Musikbereich, wo er den Einschnitt bzw. Ruhepunkt in der Tonfolge, sowie das entsprechende Notenschriftzeichen benennt.
Das Vortragen (das in seiner gekonnten Ausprägung durchaus als eine Kunst bezeichnet werden darf) kann durch Methoden aus dem professionellen Schauspielbereich wichtige technische Grundlagen und künstlerische Impulse erhalten. Eine dieser Techniken ist der Einsatz von Zäsuren bzw. „Sprechpausen“.
1. Was für Zäsuren gibt es?
Analog zum Musikbereich unterscheide ich im Schauspiel und im Vortragen verschiedene Längen von Zäsuren. Es gibt ganze Zäsuren (im Text durch zwei Schrägstriche codiert: „//„), halbe (ein Schrägstrich: „/„), viertel (ein Strich: „|„) und achtel Zäsuren (durch ein „V“ codiert).
Diese Längen der Zäsuren sind nicht objektiv durch eine Zeitangabe definiert. Ihre Längen sind relativ zueinander zu verstehen: eine halbe Zäsur ist (etwa) halb so lang wie eine ganze und (etwa) doppelt so lang wie eine viertel. Und auch diese Angaben sind nur eine Art Markierung und bedeuten lediglich einen Hinweis für die Vortragende.
Besonders interessant ist hier die Achtelzäsur: Sie markiert den subtilen Unterschied zwischen dem gebundenen und dem getrennten Sprechen zweier Worte. Das gebundene Sprechen ist dasjenige, das wir normalerweise ausführen. Zwei Worte werden dabei zu einem einzigen zusammengezogen. „Ein Apfel“ hört sich an wie „einapfel“. Eine Achtelzäsur trennt die Worte wieder hörbar voneinander. In diesem Moment ist der Ausdruck dezidierter (probier es einmal aus!).
2. Wo solltest du Zäsuren im Sprechen deines Vortrags setzen?
Die Interpunktion eines Textes gibt dir eine erste Anwendung der Zäsuren vor. Ein Punkt, Doppelpunkt oder ein Semikolon entspricht meist einer ganzen Zäsur, ein Komma einer halben oder Viertelzäsur. Diese Zäsuren setzt du dir also automatisch durch die Interpunktion deines Vortragstextes.
Darüberhinaus aber zeichnet sich ein Vortrags-Skript dadurch aus, dass es der Sprechenden weitere Zäsuren vorgibt, durch die sie dem Sinn ihrer Rede Kontur verleiht und ihn dadurch erlebbar macht. Am Ende eines Topics, eines thematischen Abschnitts, markiert eine sogenannte „Schwelle“ den Übergang zum nächsten Sinnabschnitt. Diese Schwellen erfordern immer eine Zäsur. Da hier textlich betrachtet auch immer ein Punkt gesetzt wird, entsteht dadurch jedoch keine zusätzliche Zäsur im Skript.
Innerhalb eines Topics jedoch verläuft das Sprechen auf verschiedenen sprachlichen Ebenen. Wir sprechen hier von einer Unterscheidung zwischen dem Hauptgedanken und den Einschüben einer Sprechhandlung. Vor und nach jedem Einschub, mit anderen Worten: für das Austreten aus dem Hauptgedanken und für das Wiedereintreten in denselben, muss der Sprechende eine Zäsur machen. Diese Zäsuren sind nicht immer zugleich durch eine Interpunktion im Text (durch ein Komma zum Beispiel) gestützt und somit von dieser unabhängig zu setzen. Hier steht die ganze Bandbreite der Zäsuren (von einer achtel bis hin zu einer ganzen) als mögliche Länge zur Auswahl und die Entscheidung wird von der gewünschten Stärke des Ebenenwechsels abhängen.
Achte darauf, eine Zäsur nicht an einer Stelle zu setzen, an der sie den Sinnbogen eines Gedankens zerstört. Als Beispiel: „Mit einer sonderbaren Logik nimmt der Liebende den Anderen als Ganzes wahr (ähnlich wie das herbstliche Paris), und zugleich scheint ihm dieses Ganze einen Rest zu enthalten, den er nicht aussprechen kann.“ (Aus: Roland Barthes, Fragmente einer Sprache der Liebe). Hier wäre eine Zäsur nach „nimmt“ zum Beispiel sinnbrechend. Sinnvolle und Sinn-unterstützende Zäsuren in dieser Sprechhandlung könnten sein: „Mit einer V sonderbaren V Logik nimmt der Liebende V den Anderen / als Ganzes wahr // (ähnlich wie das herbstliche Paris)//, und zugleich / scheint ihm dieses Ganze V einen Rest zu enthalten,/ den er nicht V aussprechen kann.“
3. Was bewirken Zäsuren für dich als Vortragende?
Ganze Zäsuren bieten eine natürliche Möglichkeit zum Atemholen, ohne den Redefluss zu stören. Auch das ist wichtig zu wissen, denn die Aufregung der Vortragssituation bewirkt mitunter ein unnatürliches (und unnatürlich häufiges) Atemholen an Stellen, die den Gedanken „brechen“. Umgekehrt aber unterstützen Zäsuren – richtig gesetzt – den Sinn einer Sprechhandlung und können dadurch die Wirkung potenzieren und das Erlebnis der Zuhörer entscheidend mitgestalten.
Aber auch ganz abgesehen von der Wirkung auf das Publikum ermöglichen Zäsuren in erster Linie dir als Sprechender die Unterscheidungen im Wechseln der Themenabschnitte und insbesondere im Wechseln zwischen Hauptgedanken und Einschub überhaupt sprachlich zu bewerkstelligen. Im Redefluss kann die Stimme ihre Modulation nicht verändern! Du brauchst daher dieses „Abbremsen“, um deiner Stimme eine neue „Richtung“, eine neue Qualität zu geben.
Durch Zäsuren erhält deine Rede zudem eine prägende Rhythmisierung. Diese kann und sollte dem Sinn der Sprechhandlung zuspielen, was auch bedeuten kann, dass der gewohnte (und oft geleierte) Rhythmus eines Satzes verändert wird.
Und schließlich bringen die längeren (ganzen) Zäsuren auch immer wieder Ruhe in deinen Redefluss, der sich sonst – gerade durch Nervosität – zu hektisch entwickeln kann. In dieser „Pause“ kannst du deinen Atem beruhigen und deinen Stimmsitz wieder optimieren (oft wird dieser „hochgerutscht“ sein!).
4. Welchen Effekt haben Zäsuren bei deinen Zuhörern?
Zäsuren sind – neben den Modulationen der Stimme und den Betonungen – ein sprechtechnisches Mittel, um den Sinn einer Sprechhandlung erlebbar zu machen. Denn Sinn entsteht für deine Zuhörer nicht allein – ja, vielleicht nicht einmal in erster Linie – durch die nominale Bedeutung der Begriffe, sondern ganz entscheidend auch durch den erlebten Wechsel der sprachlichen Handlungen und ihrer Sprachebenen.
Zäsuren erzeugen Spannung, gestalten Hervorhebungen, erzeugen suggestive Rhythmen und tragen wesentlich zur Lebendigkeit deiner Rede bei. Du bewirkst durch eine richtig gesetzte Zäsur Intensität und lenkst die Aufmerksamkeit deiner Zuhörer auf einen entscheidenden Moment.
Die größte Kraft der Zäsur liegt aber in einem besonderen „Effekt“: sie holt das sprachliche Vortragen ins Hier und Jetzt. In der Zäsur ereignet sich ein – scheinbar spontaner – Umschwung des Sprechens, als wäre dieser durch einen jetzt einschlagenden Gedanken verursacht. Damit kann sich dein Sprechen von einem Vor-Tragen in ein sprachliches Handeln, in einen Gedanken-Weg verwandeln.
5. Sind Zäsuren ein rhetorisches Mittel?
Ist damit die Zäsur als Sprechpause ein rhetorisches Stilmittel des Vortragens? Es mag überraschen, wenn ich das verneine.
Die Rhetorik als Redekunst, welche dazu dient, die Zuhörer zu überzeugen und zu Handlungen zu bewegen, unterscheidet sich in einem enorm wichtigen Punkt von der Sprechkunst eines Darbietenden. In einer Darbietung ist die Zäsur kein bloßer Effekt, der im anderen Wirkung erzeugen wird. Schauspieltechnisch betrachtet ist die Zäsur der Moment, in dem ein Gedanke im Sprechenden umschlägt, ein Innehalten im inneren Fluss des Denkens, um dann die Richtung zu ändern. Somit ist hier die Wirkung auf das Publikum immer nur Ergebnis eines Umschlags in der inneren Handlung oder der Handlungsebene des Sprechenden, während die Zäsur als Stilmittel direkt als Effekt eingesetzt wird, ohne notwendige innere Beteiligung, ohne innere Handlung und Erlebnis im Redenden. Man könnte sehr direkt sagen: als rhetorisches Stilmittel ist die Zäsur „leer“.
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Die Zäsur – all das war mir so nicht bekannt. Ich danke dir liebe Elma für die hervorragenden Ausführungen. Es ist ein so ganz anderes LEBEN in deinen Texten, in dir. DANKE, dass du uns teilhaben lasst. Herzlichst Claudia
Vielen Dank für dein Interesse, liebe Claudia!