Es ist inzwischen etabliert: das pferdegestützte Führungstraining. Aber unter diesem Titel werden sehr unterschiedliche Konzepte verwirklicht, die in hohem Maß von der Persönlichkeit der Trainerin/des Trainers abhängen. Ihnen allen gemeinsam ist der Gedanke, dass sich Führungskompetenzen ganz besonders durch ein Training in Zusammenarbeit mit Pferden entwickeln lassen.
Oft wird hierbei ganz allgemein der Begriff „Coaching“ statt „Training“ verwendet, ohne dies aber auf die eng definierte Bedeutung des Coachens einzugrenzen. Es nennt sich dann zum Beispiel: „pferdegestütztes Führungskräfte Coaching“. „Coaching“ meint streng genommen die begleitende Unterstützung einer Person bei der Entwicklung eigener Lösungen in einem privaten oder beruflichen Kontext. Sehr oft wird dann mit unterschiedlichen psychologischen Methoden gearbeitet (z. B. systemisches Coaching). Der Begriff „Training“ jedoch bezeichnet eine Arbeitsweise, die sich weniger auf Bewusstwerdungsprozesse fokussiert und auch nicht in erster Linie mit Fragen arbeitet. Eine Trainerin/ein Trainer arbeitet mit Vorschlägen, setzt daher nicht zentral auf das Finden eigener Lösungen durch den Trainee, sondern auf das Erlernen bestimmter Fähigkeiten.
Meine Gedanken zum pferdegestützten Führungstraining beschäftigen sich jedoch nicht (oder kaum) mit dieser Unterscheidung zwischen Coaching und Training. Mir geht es hier in erster Linie darum, darzulegen, was das Ziel, die Gründe und die Voraussetzungen für das Einbeziehen von Pferden in der Entwicklung von Führungskompetenzen sind.
Training relevanter Führungskompetenzen
Eine Methode, wie es das pferdegestützte Training ganz allgemein ist, definiert sich von ihrem Ziel her. Denn Methode bedeutet ja ein strukturiertes Vorgehen für einen bestimmten Zweck. Das Ziel „Führungskompetenz“ ist natürlich zunächst nicht eindeutig bestimmt. Darunter verstand man früher etwas anderes als heute, und auch in der aktuellen Diskussion um den Begriff „Leadership“ gibt es unterschiedliche Auffassungen.
Wer jedoch Pferde für das Training von Führungskompetenzen einsetzt, outet sich – bei allen Unterschieden im Detail – zugleich als Anhänger einer bestimmten Idee von „Führung“. Diese Idee könnte man so formulieren: Führung wird nicht als Privileg einer Person aufgrund ihres Status verstanden, auch nicht als Ergebnis von Dominanz, sondern hauptsächlich als grundlegende Befähigung, andere Menschen zu inspirieren und zu motivieren. Diese Befähigung gründet in der Persönlichkeit, in der Haltung der Führungsperson.
Führen statt „bosseln“
Pferdegestütztes Führungstraining versteht Führen als Gegensatz zu Anweisungen eines Chefs. Es bedeutet nicht, Aufgaben zu delegieren, sondern gemeinsame Ziele attraktiv und motivierend zu kommunizieren und ihre Umsetzung verantwortungsvoll zu begleiten. In der Pferdewelt gibt es dafür den Ausspruch: „The boss says: Go!, the leader says: Let´s go!“ Ersteres nenne ich „bosseln“: eine Anweisung wird herausgegeben und das Ergebnis dann entgegengenommen. Dies funktioniert (oberflächlich und nicht nachhaltig) nur aufgrund des Status „Boss“, der das Privileg des Befehlens für sich beansprucht. In der Menschenwelt ist das Privileg in der Dominanz des Chefs gegründet, die letztendlich über „Angst“ funktioniert: Angst, den Job zu verlieren oder auch nur Verantwortung und Aufstiegsmöglichkeiten verwehrt zu bekommen.
Pferde haben jedoch keinen Sinn für Status und Hierarchien, wie wir sie kennen, auch wenn Menschen ihre Sichtweise gerne auf Pferde übertragen und mit Begriffen wie „Leithengst“/“Leitstute“/“Herdenhierarche“ („Alpha“, „Omega“ usw.) ein Äquivalent zu einer autoritären Befehlshaber-Empfänger-Struktur bauen wollen. Pferde lassen sich sicherlich ein Stück weit über Dominanz – und damit über Angst – bestimmen. Allerdings entspricht das ganz und gar nicht ihrer Natur, und sie zeigen sehr deutlich an, wie kurzfristig nur diese Mechanismen funktionieren. Als Fluchttiere wird es immer etwas geben, vor dem sie mehr Angst haben als vor den menschlich gesetzten Konsequenzen ihres (sogenannten) Ungehorsams. Die Panik eines Pferdes (die auch in Aggression umschlagen kann) wird also immer über jede mögliche Strafandrohung siegen.
Pferde schließen sich aber kooperativ menschlichen Vorschlägen an, wenn sie dem Führenden Respekt und Vertrauen entgegenbringen, wenn sie dem Handlungsziel einen Sinn entnehmen können und in der Ausführung „begleitet“ werden. Diese Begleitung durch den Menschen ist im Kern einfach nur dies: das Pferd Gemeinschaft mit dem Führenden erleben zu lassen – die gemeinsame Bemühung, die geduldige Arbeit an Fehlern und Missverständnissen, die Freude am Gelingen. Echtes Führen kennt weder Strafen und Angst noch (extrinsische) Belohnung. Es ist eine gemeinsame Unternehmung mit verteilten Rollen.
Interpersonales Führen und Kontaktfähigkeit
Da also Führen im Unterschied zum Bosseln auf Beziehung und Kommunikation zwischen zwei Personen beruht (ja, auch wenn eine davon im Training ein Pferd ist!), entpuppt sich als Kern dieser interpersonalen Führung die Fähigkeit, in Beziehung zu dem anderen zu treten, es ist die Kontaktfähigkeit.
Pferde zeigen uns in sehr eindrücklicher Weise, dass es genau darauf ankommt: können wir uns persönlich einbringen und dabei zugleich das Gegenüber wirklich wahrnehmen, seine Welt, seine Gedanken und Bedürfnisse verstehen und mit unseren in Einklang bringen? Dieses Verstehen wird kein bloß intellektuelles sein können, vielmehr: können wir uns in den anderen hineinversetzen? Die Welt, die gemeinsame Aufgabe mit seinen Augen sehen? Können wir uns in ihn einfühlen?
Im pferdegestützten Führungstraining wird deutlich, dass das Kontaktangebot vom Führenden ausgehen muss, dass wir es also meistern müssen, Kontakt attraktiv anzubieten. Es wird auch deutlich, dass Kontakt aufrechterhalten werden will während der Phase der Umsetzung der Aufgabe. Denn In-Kontakt-Sein, das ist eine fragile Sache, eine permanente Leistung. Wenn der Kontakt verloren geht, muss das wahrgenommen und die Beziehung wieder aufgenommen werden, immer und immer wieder – ohne Frust, ohne Groll; am besten mit Heiterkeit und Humor – mit Empathie.
Pferdegestütztes Führungstraining zielt auf Präsenz ab
Wenn Führung, wie sie im pferdegestützten Training verstanden wird, nicht im Status eines Chefs gründet und wenn ihr Kernthema Kontakt ist, dann basiert Führen auf der Präsenzfähigkeit des Führenden. Das ist die härteste Nuss, die für die Trainees zu knacken ist. Und genau dafür ist die Mitarbeit des Pferdes im Training unersetzlich. Denn Präsenzfähigkeit, dieses Selbstengagement, das seine eigene Persönlichkeit in die Waagschale wirft, geschieht nicht sprachlich. Authentizität ist keine Mitteilung an den anderen, sondern eine Haltung, eine, die uns zum Ausdruck bringt und dabei den anderen einbezieht.
Führen geschieht aus der Präsenz des Führenden heraus. Dieses Präsentsein zu meistern ist Ziel des pferdegestützten Trainings. Und die Arbeit an der eigenen Präsenz ist sowohl eine körperliche wie geistige Aufgabe. Keine sprachlichen Bekundungen von Verantwortung, Verständnis, von Respekt oder gar von Bevollmächtigung kann uns davon entbinden, für uns präsent zu sein und dies für den anderen auszustrahlen. Und ja, Ausstrahlung bedeutet, dass Präsenz körperlich wahrnehmbar zu geschehen hat!
So führt pferdegestütztes Training letztendlich auf diesen Punkt hin: Wie geschieht authentisches Auftreten? Was tun wir, wenn wir präsent sind? In welcher Weise bringt unser Körper dieses Präsentsein zum Ausdruck?
Warum „pferdegestütztes“ Führungstraining?
Da Führen auf der Präsenz des Führenden beruht, ist das Training dieser Fähigkeit in besonderer Weise davon abhängig, dass wir mit einem Partner arbeiten, der sich nicht von Faktoren beeinflussen lässt, die nichts mit unserer Präsenz zu tun haben. Der uns weder aus Höflichkeit noch aus Sympathie, weder aus Kalkül noch aus Angst entgegenkommt – und uns damit die Herausforderung, präsent sein zu müssen, abnimmt. Ein solcher Partner, der völlig wertfrei nur auf unser Präsentsein anspringt, ist das Pferd.
Was Pferde für dieses Training mitbringen
Pferde bringen nicht einfach nur durch ihr Tier-Sein schlechthin und der damit verbundenen Unkenntnis menschlicher Ersatzfunktionen für Präsenz den entscheidenden Trainingsfaktor ein. Sie werden für das Training von Führungskompetenz unersetzlich durch zwei Besonderheiten ihrer Art: sie sind Flucht- und sie sind Herdentiere. Als Herdentiere sind sie auf Kommunikation und Kooperation hin angelegt und somit gehört es zu ihrem Wesen, sich auszudrücken und zu verstehen, Vorschläge anzunehmen und selber auszugeben sowie auf gemeinsame Aktionen einzugehen. Nun, das hätten sie auch mit Hunden gemeinsam.
Im Unterschied zu den hundeartigen Beutegreifern aber sind Pferde Fluchttiere – und Beute. Dadurch kommt eine entscheidende Besonderheit für das Training ins Spiel. Ihre Haltung gegenüber unseren menschlichen Versuchen des Führens und des Kommunizierens mittels Präsenz ist somit existenzieller Natur: Wenn ein Beutegreifer (zu denen wir Menschen im weitesten Sinn selbst zählen) einen Fehler macht, dann erleidet er einen Verlust (der Wolf bleibt hungrig). Wenn ein Beutetier einen Fehler macht, dann – so seine Sicht – stirbt es. Diese enorme Bedeutung, die Pferde dem Verstehen unserer Persönlichkeit, unserem Auftreten, entgegenbringen, macht sie zu hervorragenden Lehrmeister: sie werden jede Inkongruenz unseres Verhaltens, jede Unklarheit, jede Unsicherheit dramatisch empfinden – und es dadurch sehr klar, auch für Nicht-Pferdekenner – widerspiegeln.
Die berühmte „Spiegelfunktion“ der Pferde
Dadurch haben sich Pferde zunächst für das Führungstraining qualifiziert, dafür sind sie bekannt geworden: durch ihre Eigenart, kleinste und verborgenste Unstimmigkeiten unserer Haltung ebenso wie deren Stärke und Klarheit durch ihre Reaktion sichtbar zu machen. Der Existenzialismus des Fluchttiers Pferd (das alles auf sein Überleben hin bewertet) beschert ihm die berühmte und wichtige Spiegelfunktion im Training des Menschen. Es vergrößert also in seinen Reaktionen die verborgenen (weil unsichtbaren und unausgesprochenen) Implikationen unseres Handelns, Denkens und Fühlens. Kurz gesagt: Pferde machen unsere Präsenz oder deren Fehlen sichtbar.
Damit geben sie dem Trainierenden ein ehrliches Feedback und lassen ein Bewusstsein für die tatsächliche eigene Wirkung entstehen. Dieses Feedback ist dabei so unbeeinflusst von menschlichen „Verunreinigungen“ (wie Entgegenkommen, Höflichkeit, Sympathie, Privilegienhascherei, Stolz etc.), dass der Mensch sich zuverlässig an diesem Bild seiner Wirkung orientieren kann – wie an einem Spiegelbild. Die Spiegelung gibt uns Orientierung und eine Art objektives Urteil über den Stand unserer Führungskompetenz.
An diesem Punkt bleiben viele pferdegestützten Trainings stehen und übertragen dann das, was bewußt gemacht wurde, auf zwischenmenschliche Situationen. Dies geschieht – besonders, wenn es sich um ein Coaching im engeren Sinne handelt – durch ein Gespräch, durch Fragen an den Trainierenden, die ihn oder sie zu einer eigenen Lösungsfindung im neuen zwischenmenschlichen Kontext führen.
Aber pferdegestütztes Training kann auch einen anderen Weg nehmen und die Mitarbeit des Pferdes direkt für das Erlangen von Führungskompetenz als eine neu aufzubauende Befähigung nutzen.
Die wichtigere Trainingsfunktion der Pferde
Über ein Bewusstwerden hinaus trainieren uns Pferde in einem bestimmten Können, dem „Machen“ von Präsenz, dem Führen als solchen. Auch dies hängt mit ihrer Fluchttier-Natur zusammen: als potenzielle Beute sind Pferde darauf angewiesen, sich blitzschnell, ohne verräterische Laute, auch auf gewisse Distanzen hin unmittelbar zu verständigen. Dies tun sie nicht durch explizite Zeichengebung („Signale“, die gesendet und empfangen werden), sondern durch das Wahrnehmen der Energie, das heißt einer spezifischen Körperspannung. Diese ist der unmittelbare Ausdruck eines inneren Zustands oder Vorgangs eines anderen Lebewesens.
Um zum Beispiel blitzschnell zu fliehen, geben Pferde einander nicht irgendwelche Zeichen – das wäre bei einer Herde von 20, 30 Tieren, die verstreut, mit Abstand zueinander grasen, viel zu umständlich und langsam. Die plötzliche alarmierte Erhöhung der Körperspannung eines Tieres reicht aus, um alle anderen anzustecken (sie überträgt sich!) und die gemeinsame Flucht auszulösen.
Warum ist diese Fähigkeit, die so weit weg von konkreten menschliche Führungssituationen erscheint, trotzdem die wesentliche in einem pferdegestützten Training?
Weil sie die Trainierenden vor die Aufgabe stellt, echte Körpersprache zu erlernen. Mit „echt“ meine ich eine Körpersprache, die keine Übersetzung von Verbalem in körperliche Gesten darstellt, keine Pantomime formt, sondern die Sprache des Körpers selbst ist: die Sprache der Energie. Damit möchte ich keineswegs etwas Esoterisches bezeichnen, sondern den Ausdruck unserer Innerlichkeit (Absichten, Gefühle, Haltungen) als eine Spannung unserer Tiefenmuskulatur. Diese unmittelbare körperliche Entsprechung unseres inneren Wesens in diesem konkreten Moment – das ist Präsenz.
Durch ihre Aktionen und Reaktionen auf uns trainieren Pferde diese Fähigkeit, uns selbst im Kontakt mit anderen zum Ausdruck zu bringen. Und genau damit trainieren sie auch unsere Fähigkeit zu führen. Jedes Pferd, so sagen wir Pferdemenschen, kann und will geführt werden und einige von ihnen können auch selbst führen (wenn es sonst niemand tut). Sie sind damit der einzigartige Trainingspartner für Menschen, die Führung „können“ wollen, die echtes Führen meistern wollen – dasjenige Führen, das allein Pferde überzeugt: aus körperlich-geistiger Präsenz heraus.
Welche Voraussetzungen gibt es im pferdegestützten Führungstraining?
Vor 10 oder 15 Jahren war pferdegestütztes Training noch wirklich exotisch, aber dann wurde es – vor allem unter dem Begriff „pferdegestütztes Coaching“ – immer populärer. Inzwischen gibt es eine unüberschaubare Zahl von diesen Trainings, Akademien, die pferdegestützte Coaches ausbilden (wie zum Beispiel das MindMirror Coaching von Franziska Müller, um eins der bekannteren zu erwähnen) und Fachliteratur (hier eine Übersicht).
Das klingt nicht sehr ermutigend? Soll es auch nicht. Wie bei allem, was einen Hype auslöst, solltest du genau hinschauen. Nicht jeder, der seine Pferde für „Übungen“ bereitstellt, ist schon dadurch Coach oder Trainer. Diese Begriffe sind nicht geschützt, wie du vermutlich weißt. Und selbst eine Ausbildung zum pferdegestützten Coach garantiert keineswegs, dass damit echte Kompetenzen erworben werden.
Ohne hier gängige Konzepte hinterfragen oder gar kritisieren zu wollen (das würde diesen Beitrag sprengen), möchte ich dich zumindest für die Bedingungen sensibilisieren, die ein fundiertes pferdegestütztes Führungstraining braucht.
Voraussetzungen auf Seiten des Pferdes
Damit Pferde ihren unglaublich wertvollen Beitrag im Führungstraining leisten können, dürfen sie nicht konditioniert und nicht desensibilisiert worden sein. Und hier beginnt schon die ganze Problematik.
Wir brauchen keine abgestumpften Pferde …
Der absolut größte Teil der Pferde in Menschenhand wurden im Laufe ihrer Ausbildung methodisch auf maximalen Gleichmut hin trainiert – mit anderen Worten: desensibilisiert. Zum einen verständlich, da die Angst- und Panikreaktionen eines Fluchttieres von der Größe und Reaktionsschnelligkeit des Pferdes, für uns Menschen das größte Gefahrenpotential bilden. Also werden Pferde fast immer mit „Anti-Schreck-Trainings“ und Übungen unter anderen Namen auf Gelassenheit in verschiedensten Situationen (und damit auf Händelbarkeit für Menschen) trainiert. Verschiedenste Gegenstände und Situationen sollen damit beim Pferd keine Angstreaktion mehr hervorrufen.
Ein solches Training führt – ganz wertfrei gesprochen – zu einer Abstumpfung des Tieres gegenüber möglichen Auslösern eines Fluchtreizes (Autos, Hunde, Untergründe, Geräusche, Bewegungen, Wasser etc.). Damit wird das Pferd desensibilisiert. Der Verlust an Sensibilität hat aber die Kehrseite, dass es erstens auch anderen Reizen gegenüber weniger reagiert, sie damit durch sein Verhalten nicht mehr beantwortet – zum Beispiel menschliche Aktionen. Solche Pferde wirken zwar sicherer als jene, die nicht desensibilisiert wurden, sie verlieren jedoch auch weitgehend ihre Spiegel- und Trainingsfunktion. Zweitens haben diese Pferde nicht gelernt, sich in ungewohnten Situationen am Menschen zu orientieren, mit diesem Rücksprache zu halten, ja den Menschen generell als Kommunikationspartner in allen Lebenslagen anzusehen. Es ist die Situation, die durch das Training ungefährlich geworden ist, es ist nicht der Mensch, der deren Ungefährlichkeit durch seine Führung jeweils neu vermittelt. Solche, fälschlicherweise „Verlasspferde“ genannten Tiere eignen sich in meinen Augen nicht für ein pferdegestütztes Training.
… und schon gar nicht konditionierte Pferde!
Konditionierung! Sie scheint der Königsweg, um – als einziges intelligentes Wesen im Universum – alle anderen dazu zu bringen, das zu tun, was wir wollen. Ok, Schluss mit Ironie. Was ist Konditionierung? Die klassische Konditionierung – denke an den Pawlowschen Hund, der schließlich speichelt, wenn die Glocke ertönt – etabliert ein neues Reiz-Reaktions-Schema, das (so die Hoffnung) ebenso zuverlässig funktioniert wie eine natürliche Reiz-Reaktions-Kette.
Manche Pferdehalter konditionieren ihre Pferde darauf, in beängstigenden Situationen den Kopf zu senken. Das ist – aus Sicht der Natur – ähnlich absurd wie zu speicheln, wenn eine Glocke klingelt. Aufgeregte Pferde heben den Hals an, sie spannen den Körper und machen sich so fluchtbereit. Das ist für uns Menschen allerdings unpraktisch (und beängstigend). Wenn wir das Pferd auf Kopfsenken konditionieren, dann unterbinden wir nicht nur die potentiell gefährliche Reaktion, sondern auch das stimmige Zumausdruckbringen seiner Gefühlswelt … Egal, der Gaul bleibt stehen.
Nun, das Sich-Ausdrücken-Dürfen ist aber die Voraussetzung dafür, dass das Pferd uns trainieren kann. Im Training möchten wir eine Veränderung seiner Gedanken und Empfindungen erreichen durch immer empathischeres, klareres Führen. Wir wollen nicht bloß ein bestimmtes Verhalten sehen (das Pferd steht, egal, wie es in ihm aussieht)!
Führen können bedeutet: eine Unterschied zu machen. Es bedeutet, den anderen in seiner Einstellung, seinem Denken und Fühlen, seiner Haltung zu betreffen. Es bedeutet nicht, dass wir eine äußere Aktion als Automatismus auf den von uns gesetzten Reiz (Befehl) erhalten.
Voraussetzungen auf Seiten des Menschen
Am häufigsten stellt sich bei pferdegestützten Trainings die Frage nach der Übertragbarkeit und damit nach der Relevanz der Ergebnisse. Ist das, was das Pferd im Training anzeigt und vom Menschen fordert, denn überhaupt dasselbe, was ein anderer Mensch empfinden und in Führungskontexten brauchen würde? Nur wenn wir annehmen, dass dem so ist, dann ist die Voraussetzung erfüllt, dass so ein Training Sinn macht. Das wäre die einfache logische Idee.
Aber ich möchte folgende Überlegung anstoßen: lassen wir einmal die Frage beiseite, ob das, was sich auf Seiten des Pferdes abspielt (seine Beurteilung und Forderung an unser Führungsverhalten) übertragbar ist auf ein menschliches Wesen. Das ist gar nicht so wichtig, wie ich finde. Das Pferd hat hier im Führungstraining keine Stellvertreter-Funktion! Es steht nicht für einen menschlichen Partner. Es ist der (Co-)Trainer, der bestimmte Fähigkeiten, die ein Mensch grundsätzlich besitzt, durch seine erhöhte Sensibilität hervorbringt, stärkt und für uns verfügbar macht. Im Training also nimmt das Pferd nicht in ersterer Linie die Rolle eines anderen Menschen (im Business-Kontext zum Beispiel) ein. Es steht nicht für etwas anderes als es selbst ist. Sondern es kann – aufgrund seiner arteigenen und individuellen Eigenschaften – Präsenz trainieren, Kontakt erlebbar machen, Klarheit und Fokus einfordern.
Von Seiten des Menschen sind also keine besonderen Voraussetzungen notwendig, keine Anhängerschaft für eine bestimmte Theorie über Ähnlichkeiten zwischen Pferden und Menschen oder ähnliches. – Nur eine Offenheit für die Überraschungen, die diese Wesen uns mit uns selbst bescheren, die wäre sehr hilfreich.
Wie läuft ein pferdegestütztes Führungstraining ab?
Du kannst es dir bestimmt denken: es gibt nicht den einen Ablauf. Und ich kenne sicher nicht alle möglichen. Am besten ist, ich beschreibe dir den Ablauf in meinen Trainings (die keine Coachings sind) an einem konkreten Beispiel.
Wie es beginnt …
Du betrittst gemeinsam mit mir und dem Pferd den Arbeitsplatz. Das ist entweder ein Roundpen (ein rund eingezäunter Sandplatz von 16 Metern Durchmesser) oder eine kleine viereckige Arbeitshalle. Sobald die Tür geschlossen ist, wird dem Pferd das Halfter abgemacht, es kann sich frei bewegen. Du stehst (allein oder mit mir zusammen) etwa in der Mitte des Platzes und beobachtest, was das Pferd macht. Da das Pferd die Umgebung kennt, ist es nicht besonders nervös, sicher aber etwas angespannt, weil es aus der Herde herausgenommen wurde und dich und die anderen Trainierenden nicht kennt. Es wird dich vermutlich wenig beachten, statt dessen den Raum erkunden (auch wenn er grundsätzlich bekannt ist) und die äußere Umgebung scannen – du bist nur „Umwelt“ für das Pferd.
Im Folgenden besteht unsere Arbeit darin, dass ich dir zeige, wie du bedeutsam wirst: wie erzeugst du – ohne Locken oder Drohen – Interesse, dann Respekt und Vertrauen, alleine durch deinen Körperausdruck und dein Verhalten (Bewegungen, Blick uvm.). Wann und wodurch wirst du relevant in der Welt dieses Pferdes? Wenn dir das gelungen ist, wird das Pferd die Umgebung immer mehr ausblenden und beginnen, sich auf dich zu fokussieren: es kommt zu dir, läuft frei mit dir mit, bleibt zusammen mit dir wieder stehen. In dieser Anfangsphase des Trainings wirst du das Pferd aus einer unmittelbar vor ihm befindlichen Position heraus führen, mit deiner Körperspannung, deiner „Energie“.
.. und wie es sich entwickeln kann
Zu einem späteren Zeitpunkt der Arbeit beginnst du das Pferd von der seitlichen Führposition aus mitnehmen. Du befindest dich dann etwa 1,5 – 2 Meter (später auch bis zu 6 Metern) vom Pferd entfernt, auf der Höhe seines Bauches. Das Pferd bewegt sich außen in einer Kreisbahn, du läufst auf der inneren Kreisbahn. Du lernst, das Pferd die Richtung wechseln zu lassen, es anzutraben oder auch zu galoppieren, es zu dir in die Mitte einzuladen oder von dir wegzuschicken …
Alle Übungen erfolgen vom Boden aus. Du brauchst keinerlei Vorkenntnisse im Umgang mit Pferden. Meine Pferde haben nicht gelernt, Signalen zu gehorchen. Sie sind darauf nicht konditioniert worden. Sie tun nur das und tun dies nur so, wie es deine Körpersprache sie verstehen lässt. Und nicht nur das. Verstehen allein reicht nicht, denn es gibt für sie keinen Zwang, deine Vorschläge auszuführen. Über das Verstehen hinaus, brauchen sie die klare Verbindlichkeit, dass dir wichtig ist, was du vorschlägst – und dass die Umsetzung dem Pferd „etwas bringt“. Dieses „etwas“ ist keine Belohnung im herkömmlichen Sinn. Es ist die Freude an der Gemeinsamkeit, am Kontakt, die Faszination, die dein Körper ihm bezüglich eures Vorhabens vermittelt.
Durch das Training mit einem Pferd wird deine Führung auf Präsenz gegründet. Sie wird körperlich, kongruent, klar und kraftvoll, sie stellt Kontakt her und sieht sich in der Verantwortung. In der Verantwortung, Führung faszinierend für andere auszuüben.